Der Hl. Don Bosco hatte einst einen Traum von seinem besten Schüler, dem damals bereits verstorbenen, ebenfalls heilig gesprochenen Dominikus Savio.
Wir wollen hier einige Auszüge aus diesem von Don Bosco aufgezeichneten Traum wiedergeben.
Don Bosco erzählt
"Es war in der Nacht vom 6. Dezember 1876. Ich weiß nicht recht, ob ich bei Tisch war, ob ich im Zimmer auf und ab ging oder ob ich schon zu Bett lag, als ich träumte.
Mir war, als befinde ich mich auf einer Anhöhe, von wo aus sich einen weiten Blick in die Ferne hatte. Vor mir breitete sich eine ungeheure Ebene aus, deren Grenze sich in der Unendlichkeit verlor. Die Fläche schimmerte blau wie das Meer und war eingeteilt in Gärten von unaussprechlicher Schönheit. Ich sah Formen und Farben in verschwenderischer Fülle.
Nirgendwo auf der Erde gibt es etwas Vergleichbares. Die Blätter der Bäume waren golden, wie Diamanten leuchteten Stämme und Äste. Inmitten der Gärten gab es herrliche Gebäude, sie waren über die ganze Ebene verteilt. die außerordentliche Schönheit ihrer Formen beeindruckte mich so sehr, daß ich zu mir sagte: O hätte ich für meine Jugend nur ein einziges von diesen Häusern ! Während ich so dachte, drang an mein Ohr eine so wunderschöne Musik, wie ich sie noch nie gehört habe. Die Melodien erklangen aus einer Unzahl von Instrumenten, von denen jedes einzelne seine bestimmte Klangfarbe besaß.
In dieses wundersame Gewoge von Wohlklängen mischte sich der Gesang vieler Stimmen. Hierauf sah ich in den Gärten viele Menschen. Sie waren es, die spielten und sangen. Aus ihren Stimmen hörte ich deutlich die Worte:
"Heil, Ehre und Ruhm sei Gott, dem allmächtigen Vater !"
Während ich selbstvergessen den himmlischen Tönen lauschte, erschien mir eine Anzahl von Jungen. Etliche kannte ich vom Oratorium her, die meisten waren mir unbekannt. An der Spitze der Jünglinge schritt Dominikus. Dahinter folgten Priester und Kleriker, die jeweils andere Gruppen von Jünglingen anführten.
Der Zug kam bis auf wenige Schritte an mich heran, dann blieb er stehen. Ein neuer Lichtschein erstrahlte, darauf trat tiefes Schweigen ein.
Jetzt löste sich Dominikus von den Jungen und kam noch etwas näher. Er kam so nahe, daß ich ihn hätte berühren können. Sein Anblick war unbeschreiblich schön. Er lächelte mir zu und blickte mich schweigend an.
Sein Gewand war von ganz auserlesener Pracht. Ein mit Diamanten übersätes Kleid fiel bis auf die Füße herab. Es trug einen roten Gürtel, der mit Edelsteinen besetzt war. Um seinen Hals war ein Kranz von fremdartigen Blumen gelegt; das Haupt schmückten Rosen.
Seine Begleiter trugen verschiedene, aber gleichfalls leuchtende Gewänder, alle mit demselben roten Gürtel."
Dominikus beginnt zu sprechen
"Bist du nicht der Mann, der sich vor nichts fürchtete; der unerschrocken seinen Verfolgern die Stirne bot ? Wo ist jetzt dein Mut ? Weshalb bis du so furchtsam und sagst kein Wort ?" So begann er seine Rede.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll", erwiderte ich und fragte: "Bist du etwa Dominikus Savio ?" "Ja, der bin ich. Kennst du mich nicht ?" Verwirrt stotterte ich: "Wie kommt es, daß du jetzt da bist ?" Überaus freundlich antwortete Dominikus: " Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen. Wie oft haben wir auf Erden miteinander gesprochen ! Weißt du noch, wie sehr du mich liebtest ? Denkst du daran, welche Beweise der Freundschaft und des Wohlwollens du mir gegeben hast ? Und habe ich dir nicht immer auch mein volles Vertrauen geschenkt ? Wenn dem so war - warum bist du jetzt so furchtsam ?" "Ich zittere vor Furcht!" sagte ich. "Mach mir Mut ! Denn ich weiß nicht, wo ich bin." "Du bist am Ort der Glückseligkeit !" "Ist dieses also der Lohn für die Gerechten ?" "Nein, das nicht ! An diesem Ort erfreut man sich zwar in hohem Maße, jedoch nicht der ewigen, sondern nur der zeitlichen Güter." "Ich glaubte, hier sei das Paradies !" "Nein, nein ! Das ist völlig ausgeschlossen. Kein sterbliches Auge kann die unvergängliche Schönheit des Paradieses sehen !"
Der blendende Lichtstrahl
Ich fragte weiter: "Was ist mit dem Licht hier ? Ist es natürlich oder übernatürlich ?" "Es ist rein natürliches Licht, jedoch neu belebt durch Gottes Allmacht." Könnte man vom übernatürlichen Licht eine Kostprobe haben ?" "Nein, das ist völlig ausgeschlossen. Niemand kann es sehen, sofern er nicht zur Anschauung Gottes gelangt ist. Denn der geringste Strahl jenes Lichtes würde den Menschen auf der Stelle töten." "Gibt es vielleicht ein noch schöneres natürliches Licht als dieses hier ?" "Gewiß, das gibt es. Schau einmal dortin !" Bei diesen Worten zeigte er in die Ferne, und ich blickte in die angegebene Richtung. Da gewahrte ich ganz weit draußen am Horizont einen feinen Lichtstrahl. Er war gleichsam dünn wie ein Haar, jedoch so blendend, daß ich die Augen schloß und einen lauten Schrei ausstieß, wodurch Don Lemoye erwachte, der im angrenzenden Zimmer schlief. Jener Lichtstrahl war hunderttausendmal heller als die Sonne und hätte genügt, das ganze Weltall zu erleuchten.
Als ich nach einiger Zeit die Augen wieder zu ihm wandte, fragte ich Dominikus, was das gewesen sei - ob es vielleicht ein Strahl des himmlischen Lichtes war.
"Nein", gab er mir zur Antwort, "es ist auch nicht das Himmelslicht. Es ist rein irdischer Natur, von der Allmacht Gottes zu solchem Glanz verstärkt. Aber wenn auch ein unendliches Meer von diesem Licht den Weltraum erfüllte, so hättest du noch immer keine Vorstellung vom Lichtglanz der Himmelsherrlichkeit."
"Welches sind dann eure Freuden im Paradies?" fragte ich weiter. Es ist unmöglich, dir diese Freuden zu beschreiben. Um sie kennenzulernen, muß man das irdische Leben ablegen. - Unsere Freude ist Gott ! - Damit ist alles gesagt."
Der rote Gürtel
Mittlerweile hatte ich meine Fassung wiedergewonnen. Ich vertiefte mich darin, die Schönheiten Dominikus' und seiner Gefährten zu betrachten. Offenherzig fragte ich ihn, warum er ein so weißes und leuchtendes Kleid trage. Hierauf gab er mir überhaupt keine Antwort. Statt dessen begann der Chor wieder zu singen; ich hörte, von Musik begleitet, die Worte: "Sie haben ihre Lenden umgürtet und ihr Gewand weißgewaschen im Blut des Lammes." Danach verstummte der Chor. Ich fragte weiter, weshalb er diese rote Binde um den Leib trage. Dominikus verharrte weiter in seinem Schweigen. Dafür sang ein Priester nun ganz allein, und ich hörte den Text: "Jungfräulich sind sie und folgen dem Lamm auf all seinen Wegen." Da begriff ich, daß der rote Gürtel ein Kennzeichen sein sollte: ein Symbol für die ans Martyrium grenzenden Leiden und Opfer, die notwendig waren, um das Kleid der Unschuld und Herzensreinheit unversehrt mit aus diesem Leben zu nehmen. Ergriffen von dem Gesang, betrachtete ich die vielen Reihen himmlischer Jünglinge, die hinter Dominikus aufgestellt waren. Dabei fiel mir auf, daß Dominikus einen gewissen Vorrang haben mußte, weil die anderen hinter ihm respektvoll Abstand hielten.
"Nun also", begann ich abermals, "sprechen wir noch ein wenig von den Dingen, die für uns jetzt am wichtigsten sind !" "Einverstanden! Aber mach schnell, denn die Zeit, die mir gewährt wurde, könnte bald zu Ende sein !" "Ich glaube, daß du mir manches von Bedeutung zu sagen hast!" "Meinst du?" erwiderte er voll Demut. " Was soll ich armes Geschöpf dir schon sagen ? Ich habe vom Allerhöchsten den Auftrag, mit dir zu sprechen, deshalb bin ich gekommen."
Die Blumen des Dominikus Savio ....
Darauf zeigte er mir einen herrlichen Blumenstrauß, den er in der Hand trug. Ich sah Rosen, Veilchen, Sonnenblumen, Enzian, Lilien und Immergrün. Dazwischen ragten Kornähren heraus. Er reichte mir den Strauß und befahl mir: "Zeige diesen Blumenstrauß deinen Zöglingen und sorge dafür, daß alle ihn haben und keiner ihn mehr verliere. Dann werden sie alles genügend haben, um glücklich zu sein." "Was willst du damit sagen ? Was sollen die Blumen bedeuten ?" "Sie stellen Tugenden dar, die dem Herren am meisten gefallen." "Welche Tugenden sind das ?" "Die Rose ist Sinnbild für die Liebe, das Veilchen bedeutet die Demut. Mit der Sonnenblume ist der Gehorsam gemeint, mit dem Enzian die Abtötung. Die Weizenähren bedeuten die öftere Kommunion, die Lilie ist das Sinnbild der Reinheit. Das Immergrün zeigt an, daß diese Tugenden stets bewahrt bleiben sollen, es ist das Zeichen der Beharrlichkeit."
Was sein größter Trost im Sterben war
"Höre, mein lieber Dominikus", redete ich ihn an, "du hast doch im Leben alle diese Tugenden geübt. Sage mir nun: Was hat dir in deiner Todesstunde den größten Trost bereitet?" "Nun, was könnte das wohl gewesen sein?" fragte er zurück. Da begann ich zu raten: "War es das tröstende Bewußtsein, die Reinheit des Herzens bewahrt zu haben?" "Schon auch, aber nicht das allein." "War es vielleicht das reine Gewissen?" "Das ist etwas Gutes, aber noch nicht das Beste !" "War es der Schatz deiner guten Werke?" "Auch das nicht!" verneinte er nun schon zum drittenmal. "Ja, was war es denn wirklich? Sag es mir doch endlich!" bat ich, damit er meine Ratlosigkeit beende. Und Savio beantwortete mir endlich die Frage: "Nun denn, so will ich es dir sagen. Es war der Beistand der mächtigen und liebenswürdigen Gottesmutter. Maria hat mir in der Todesstunde den größten Trost bereitet ! Sag das deinen Jungen, damit sie nicht vergessen, zu ihr zu beten, solange sie leben. Aber jetzt beeile dich, wenn du willst, daß ich dir noch mehr Fragen beantworte !" ...
Die restlichen Gespräche kann man im Buch "Die Blumen des Dominikus Savio" (P. Kovarik) nachlesen.